Ich raffe mich jedoch auf und schlüpfe in die kalten Stallklamotten, drücke mir ein Nutella Brötchen zwischen die Zähne, fülle meine Trinkflasche mit heißem Wasser zum aufwärmen und ab geht es zu den Pferden. Im Rennstall angekommen, geht dann alles zur Routine über. Boxen misten, Pferde putzen und baden, Pferde füttern, Pferde von und auf das Laufkarussell führen und später in 3-4 Decken wickeln. Ab und an geht es auch zum Wasserlaufen in den Nachbarstall oder ich darf am Ende des Tages noch Vitamin - Injektionen geben bzw. Blut abnehmen. Ich gebe zu, spannend ist es nicht, aber ich arbeite auch um Geld für die Reise zu verdienen. Damit die Maus mit weißer Flagge, welche derzeit mein Konto bewacht, endlich den sorgenvollen Gesichtsausdruck verliert. ;)
In Australien ist das Rennpferdebusiness groß, vor allem hier in Melbourne gibt es hunderte an Rennställen. Es scheint mir einen recht großen Teil der Kultur auszumachen. So richtig verstehen kann ich es dennoch nicht, Pferde so sehr als Sportgeräte zu sehen. Naja, gut versorgt werden sie zumindest, zu gut würd ich sogar meinen; gefüttert wird bis ordentlich Speck auf den Rippen zu sehen ist. Die armen Viecher stehen allerdings auch 22 Stunden vom Tage in ihren Boxen oder Paddocks und bekommen dabei so hochprozentiges Proteinfutter, dass alle Energie und Langeweile in Verhaltens-Stereotypen umgesetzt wird. Die Hunde hier in Down Under sind im Übrigen nicht besser dran, auch sie werden in Decken eingepackt und schuckelfett gefüttert. Wie sagt man so schön, andere Länder, andere Sitten und im Bezug auf mich, anderer Beruf.
In dem Punkt hat mir die Reise auch eine wichtige Lektion gelehrt. Es ist manchmal schon fast komisch, wie sich Dinge in eine Richtung entwickelt, welche man so nie vorhergesehen hat und sich nicht mal bewusst war, dass Etwas, über welches man sich nie groß Gedanken gemacht hat, so fundamental sein könnte. So viele Reisende, die ich treffe, bemerken plötzlich, dass sie doch zu etwas anderem berufen sind, wechseln direkt ihre Arbeit oder orientieren sich neu, nach oder während der Reise, gehen zurück zur Uni oder bleiben gar im Ausland stecken um umzulernen. Entdecken verborgene Talente und versuchen ihr ‚altes‘ Leben abzustreifen.
Und bei mir? Da ist genau das Gegenteil eingetreten. Mit jeder Faser meines Körpers durch und durch fühle ich mich mehr als jemals zuvor bestätigt, dass ich bin was ich bin und das ich gut bin, indem was ich tue. Ich bin Tierarzt, das ist die 100% Realität, und ich werde und will auch nie etwas anderes sein. Es bedeutet mir die Welt, Tieren in Not helfen zu können und es gibt wenige Dinge, die mir so viel Spaß machen, wie eine frische Wunde zusammen zu flicken oder Bücher zu wälzen um nach seltenen Krankheiten zu forschen. Besitzern ein Verständnis dafür zu geben, was gerade in ihrem Tier vor sich geht und wie es zu behandeln ist, oder einfach einem Babykätzchen die Milben aus den Ohren zu putzen. Ein anderer Beruf? Nie im Leben! ;)
Und mit dieser neuen Weisheit, die nun wie ein Anker in mir verwurzelt ist, kommt die Reise schneller zu einem Ende, als gedacht. Das Jahr in Australien mit diversen Backpackerjobs wird eingetauscht, gegen einige Monate Reisen und meine nun doch ehemals geplante Rückkehr zum Leipziger Tierärztekongress im Januar. Neues medizinisches Wissen aufsaugen, die graue Masse mit Nahrung versorgen und nicht mehr als Stallmädchen arbeiten; hört sich doch super an. Ja, so unverhofft kann es manchmal kommen. Die richtigen Wege, finden sich beim Laufen.
Zugegeben, es ist nicht der einzige Grund. Denn die nächste Lektion folgt der Vorherigen auf wenigen Schritten. Im Ausland reisen und im Ausland arbeiten = 2 völlig verschiedene Dinge. Ich habe von Anfang an gesagt, dass der Alltag immer die schwierigste Aufgabe ist, im Leben zu meistern. Tag ein Tag aus, der Sklave seiner eigenen Lebenserhaltung zu sein, und dabei stets mit einem Lächeln durch die Welt zu gehen, sich dennoch Träume erfüllen zu können und ein Privatleben zu erhalten, ist eine Kunst, die oft in negativen Stress für unser Gemüt ausartet. In einer geliebten Gegend allerdings, oft Heimat genannt, mit einem sozialen Umfeld aus Freuden und Familie, gelingt es uns jedoch diesen Balanceakt zu tanzen. Und genau diese Geborgenheit fehlt in einem fremden Land. Und auch wenn es nicht unmöglich für mich wäre, so lebe ich doch bei dem Gesetzt: Sofern es in meiner Macht steht, tue ich nur das, was mich glücklich macht.
Australien tut dies leider nicht, so einfach ist das nun mal. Darum sehe ich es auch nicht als eine Option, meine Approbation für teures Geld hier anerkennen zu lassen. Man kann es drehen und wenden, wie man will, man kann es sogar umwerfen und neu aufstapeln, aber nicht ein einziges Mal habe ich mich so wirklich verbunden gefühlt mit dem roten Kontinent. Und ich weiß wie sehr ein Land mir ans Herz wachsen kann. Kanada wollte ich nicht verlassen, 6 Jahre zuvor, und noch immer habe ich Sehnsucht nach diesem Ort mit all den Bergen, Wäldern und wilden Tieren, mit den Tälern voller Flüsse und dem einsamen Ruf des Loon. Und auch den vielen lieben Menschen dort, die stets höflich und so voller Freude sind. Anders als in Australien, wo es schlechte Laune und die ‚wie ziehe ich meine Mitmenschen über den Tisch‘ – Überraschungstüte gratis zu den überteuerten Lebensmittelkosten dazu gibt.
Kanada 2007 |
Zynismus ist der halbe Alltag hier! Nein, haha, so schlimm ist es natürlich nicht. Es gab auch durchaus Erstaunliches. In Deutschland hätte ich zum Beispiel nicht innerhalb von 2 Stunden eine sofort beziehbares WG Zimmer gefunden. In Australien ist das kein Problem. Und ich wohne auch noch recht nah an meiner Arbeitsstelle und kann somit zumindest zu den Nachmittagsschichten mit dem Fahrrad radeln. Zugegeben meine Mitbewohner sind schon etwas eigen. Beide kommen aus dem Rennstallbusiness und sind milde ausgedrückt, eben anders. Wo die Eine ein Schräubchen zu viel locker hat, sitzen sie bei der Anderen zu fest. Ich versuche mich in die 1000 Hausregeln so gut es geht einzugliedern, aber ehrlicherweise, denke ich, die Zeiten in einer WG mit Fremden zu wohnen sind einfach vorbei.. Die eigenen 4 Wände lernt man da gleich wieder schnell zu schätzen. Genau wie ein von intelligenten Menschen konstruiertes Haus, mit Isolierung, wo die Klamotten nach einer stürmischen und kalten, verregneten Nacht nicht klamm und halb erfroren am Morgen übern Bettgestellt baumeln, wie beim Zelten unter freiem Himmel im Frühling; und der Raum die Durchschnittstemperatur von 17° nicht unterschreitet. Diese feuchte Kälte hier, ein kleiner aber fast täglicher Albtraum. Brrr….
Naja immerhin gibt es noch einen weiteren recht freundlichen Mitbewohner, der mit seiner stets guten Laune mir den Tag versüßt und einem großem drolligen Teddybär gleichkommt: Hund „Capone“ oder liebevoll „Pony“ genannt.
Melbourne hat mir noch ein weiteres nettes Ereignis beschert, nach gut 2 Jahren habe ich einen lieben Freund aus meiner Studienzeit in Leipzig hier getroffen, der auch um den Globus reist und ebenso eine Zwischenstation einschiebt um die Reisekasse wieder aufzufüllen. Die Welt ist klein und doch so groß. Die schönsten und verrücktesten Reisegeschichten wurden ausgetauscht, der neuste Tratsch und Klatsch erzählt und ein leckeres Essen gekocht.
Und weil wir uns nostalgisch fühlten, nach all den Erinnerungsschüben aus Uni-Zeit und Globetrotten, gab es ein Foto und noch ein Match im Magic-Kartenspiel. Zwei zu Eins für mich mit viiiieeel Hilfe vom Ex-Turnierspieler, haha.
Einen Junkfood-day bei McDonalds einlegen und die wenigen Stunden Tageslicht im guten sächsischen Dialekt verbringen. Muss eben auch mal wieder sein.
Meine Freizeit verbringe ich sonst, neben Schlaf nachholen, zumeist in der Stadtbibliothek, denn dort gibt es freies Internet. Ich update die Blogeinträge, gehe meiner zweiten bezahlten Arbeit nach; dem Übersetzen einer Website eines Freundes ins Englische und plane meine Route durch den Südostasiatischen Teil unserer Erde. Neuseeland muss nämlich erstmal wieder hinten anstehen. Zu teuer und zeitaufwendig allein, komme ich dafür irgendwann in den nächsten Jahren mit treuer Reisepartnerin zurück, wie für die meisten Sehenswürdigkeiten hier in Oz. Denn wenn es bereits ein Versprechen an mich selbst gibt, nach nun fast einem Jahr, dann doch Eines, es wird nicht die letzte längere Reise sein. So viel ist noch verborgen auf diesen Planeten, so viele Länder unentdeckt von mir, dass ich nie still sitzen werde. Reise, lerne und erfahre, lass dich verzaubern bis du all die Antworten gefunden hast und neue Fragen stellen kannst. ;)
Meine recht grundlegende Frage während ich diese Worte schreibe ist allerdings weniger philosophisch, sondern betrifft die Funktionalität und das weitere Durchhaltevermögen. Sie richtet sich an mein Netbook mit dem gesprungenen Bildschirm, den mein Adapter zerstört hat, welcher zufälligerweise, durch einen Stromschlag, nun auch hinüber ist. Meine Reiseutensilien scheinen Abschied nehmen zu wollen von mir. Sollte ich das persönlich nehmen? Fragen über Fragen…
Wie dem auch sei, ich will noch ein wenig die seltenen Sonnenstrahlen am Strand genießen, denn ab 5 Uhr abends werden hier auch schon die Bornsteinkanten hochgeklappt. Ladenschluss bis 8 oder 9, das gibt’s nur in Europa wie mir scheint. In dem Sinne, bis bald und frohes schaffen im Arbeitsalltag an alle daheim gebliebenen. In Australien ist dieser nicht viel anders. ;)