Donnerstag, 31. Oktober 2013

von Religion und Tradition


Indonesien. Land von Steppe bis zum Regenwald, Land mit Hindu Tempeln und Moscheen, Land zwischen Zivilisation und Naturvölkerstämmen und wo jede Landmasse sich von der Nächsten abhebt.




Am 3. Oktober von Tonga, über Auckland und Sydney nach Denpasar, erklomm ich zum letzten Mal die Äquatorgegend dieser Reise. Sehnsüchtig habe ich auf Neuseelands ruhige und saftig grüne Berge vom Flughafengebäude aus geschaut und kurz das Land der Hobbits angelächelt. „Bis zur nächsten Reise, dann lernen wir uns kennen“ geflüstert und mich anschließend innerlich auf Südostasien eingependelt, dem Reiseziel mit den wohl meisten Rucksacktouristen.

Vorwärts hieß es und zurück...Zurück zum täglichen Packen, zurück unter die kalten Duschen, zurück zu Keksen als verlässliche Reisebegleitung, und Auf in die abenteuerlichen Welten von Dschungel, Meer und Sprachbarrieren.




Mein erstes Ziel sollte das Mallorca Indonesiens sein, Kuta in Bali, die Backpacker-Auffangschüssel schlechthin, gleich um die Ecke vom internationalen Flughafen. Günstige Hotels, enge Straßen, viele Bars mit dem landestypischen Schlemmereien, Berge an Einkaufsmöglichkeiten, ein Wust an Rucksacktouristen und Einheimischen und hupende Motoräder zwischendrin. Eine schockierende Sinnesüberflutung für jeden Reiseneuling. Für mich, irgendwie normal. An solchen Orten bemerkt man stets, wie viel Stressbeständiger man als 'Reiseoldie' bereits geworden ist. Die Ruhe verlieren? Nee, so schnell nicht mehr.


Da es schon recht spät war, gab es für mich nur noch eine eher fragwürdige Bleibe. Immerhin mit Pool, denn das Bad war unbenutzbar. Wie so ungefähr jedes Zweite auf meiner Tour. Manchmal frage ich mich, was so schwierig daran ist, einen Lappen und ein wenig Seife über die gefliesten Räume gleiten zu lassen bevor Jemand neues einzieht. Na egal, mein Plan war sowieso, so schnell wie möglich aus diesem Ort zu flüchten und erstmal auf die Gili Inseln auszuweichen um meine liebe Freundin Steffi zu treffen. Zufälligerweise, nach gut 1,5 Jahren unser beider Weltreise waren wir am gleichem Ort, zur gleichen Zeit und dem Schweiz-Deutschen Treffen am weißen Korallenstrand mit blauem Meer und Fruchtcocktail stand nix im Weg. Ja, mit ihr habe ich damals, als ich noch fleißig jeden Cent in meinen Spar-Bären am Ende der Woche gesteckt habe, immer mal per Skype telefoniert. Wir hatten uns im Weltreiseforum kennengelernt und dann zusammen unsere beider Reisen geplant, uns über den Alltag daheim hinweggetröstet und schlussendlich eigenständig den Traum in die Realität umgesetzt. Und nun am Ende der Reise würden wir uns treffen, spontan. Besser hätte es nicht klappen können.


Es ging also von Kuta, nach Padangbai, und mit dem Speedboot zu Lombok und Gili T, wo wir uns dann zur Überfahrt nach Gili Meno nach einer halben Stunde hin und her texten auch gefunden haben. Super Sache, Steffi hatte einen Home Stay vorgebucht und ich konnte gleich mit einziehen, hehe. Mit dem Pferdewagen ging es dann um die kleine Insel und als wir das Gepäck abgeladen, und uns endlich zum Strand durchgeschlagen hatten, fingen wir an zu erzählen…



...und das taten wir dann ununterbrochen für gute 3 Tage. So viel hatten wir geplant zu erledigen, und zu sehen: vom Baden, Shoppen und Routeplanung, aber wir kamen einfach nicht dazu, denn die Tage waren kürzer als wir Luft zum Schwatzen hatten. Denn wenn einmal ein Frauengespräch startet, weiß man ja nie so richtig, wo das Ende gesetzt wird. Und wir hatten ja gewissermaßen auch Zeit dazu. Steffi hat auf ihrer Reise ganz Asien bereist und war der beste Reiseführer im Nicht-Buch Format den ich mir hätte wünschen können. Innerhalb von wenigen Stunden waren meine Eckpunkte für Indonesien und Thailand aufgeschrieben, eine Route gebastelt und mein ungefähres Budget berechnet, was wie immer am Ende natürlich doch übers Ziel hinaus schoss.



Manchmal könnte ich den weiblichen Teil von mir, der gern einkaufen geht, auf den Mond wünschen. Südostasien ist die schönste Versuchung und die härteste Bewährungsprobe der Zurückhaltung, seit Einkaufszentren erfunden worden sind. Wiederstehe dem großen Kaufangebot aus all den Dingen, die sowohl nützlich als auch nur wunderschön anzusehen sind! Und das spottbillig! ARG!!! Da schwächelt man schon mal, und somit habe ich nach einem Einkaufsbummel in Ubud beschlossen einfach noch ein Päckchen aus Thailand nach Hause zu schicken.



Die Kulturstadt Bali’s ist wirklich klasse für eine safte Einführung ins Backpacker-Paradies Indonesien. Bali hat ein gut ausgebautes Touristennetz, leckeres Essen, viele Tempel und unglaublich freundliche einheimische Balinesen. Und nach unseren 3 Standtagen in den Gili’s hatte ich Steffi spontan begleitet um die Haupttouristeninsel ein wenig zu erkunden. Mein Plan Tauchen zu gehen wurde nämlich von einer gemeinen Ohrenentzündung niedergeschlagen, somit musste Flores und der Komodo Nationalpark noch ein wenig warten.


Wir starteten den nächsten Tag auch direkt mit ein wenig Spazieren über den heimischen Markt. Morgens klappt das nämlich sehr gut mit dem Handeln, denn alles was am Morgen verkauft wird, bringt Glück für den weiteren Tagesverlauf. Es wird auch alles mit dem erhaltenen Geld abgeklopft, nach Hindu Tradition, was wiederum Glück bringt. Auf Bali ist die Religion wirklich überall zu sehen. Wohin das Auge reicht, sieht man Opfergaben-Schälchen aus Bananenblättern mit Blumen und Reis und Räucherstäbchen, so bunt wie die wie Welt selbst. Wunderschön.

Später gegen Nachmittag sind wir dann in den Affenwald, da war die Chance, dass sie uns sämtliche Sachen vom Leibe klauen nämlich deutlich geringer als am Vormittag. Die Kleinen sind auf den riesigen Bäumen und dem kleinen Tempel umhergewandert und haben uns lustige Fotomotive beschert.

Am Abend gab es dann wieder lecker Reis mit Tempe, meinen Indonesischen Lieblingsgericht. Tempe sind fermentierte Sojabohnen und man glaubt nicht, wie lecker das schmeckt, wenn es richtig zubereitet wird.




Natürlich gab es auch etwas Kultur in Bali und so haben wir mehrere Tempel besucht. Tanah Lot bei Sonnenuntergang, den Muttertempel in seiner vollen Pracht, mehrere kleinere Tempel und einen Wassertempel. Überall hat man diese verspielten Details und es sieht einfach unglaublich hübsch aus. Äffchen und Flughunde springen durchs Bild. Figuren von Drachen bis Löwen über Affen und sonstige Verzierungen kann man entdecken. Ein Türmchen schöner als der Andere. Ja, Bali mit seinen niedlichen Hindutempeln und gastfreundlichen Grundeinstellung hebt sich deutlich vom Rest von Indonesien ab. Auch gibt es so viele Besonderheiten. Zum Beispiel gibt es nur 4 Vornamen. Egal ob Junge oder Mädchen, das erstgeborene heißt „Wayan“, das zweitgeborene „Made“, das dritte Kind "Komang" und Nummer 4 "Ketut“. Der fünft geborene heißt dann wieder Wayan der Zweite und so weiter. Ich stelle es mir witzig vor, wenn die Kinder in der Schule aufgerufen werden und dann die halbe Klasse aufsteht. Haha.


Der Kecak Tanz war auch etwas richtig Besonderes. Touristisch ja, deutlich zu lang und ohne auch nur das Geringste zu verstehen, haben wir dennoch gespannt der indonesischen Geschichte gelauscht, die von einem weißen Affen erzählt, der eine hübsche Frau aus den Fängen des Bösen befreit. Wild aussehende asiatische Masken, in Gold gekleidete Mädchen und eine Atmosphäre die von einem Mythos der balinesischen Vergangenheit erzählt. Es hatte etwas, dem lustigen Treiben zuzusehen. Und vor allem zuzuhören, da während des ein stündigen Spektakels, um die 40 Männer um die sandige Bühne saßen, und einen Grundgesang aus Zischlauten, Zungenschnalzen und indonesischen Wörtern geformt haben. Irgendwie toll und ich wusste: Das ist Bali !Live und in Farbe. ;)


Leider verfloss unsere Mädels-Woche, des unaufhaltsamen Quatschens, mit einem Male sehr schnell, und ehe wir uns richtig verabschieden konnten, fuhr unser Blue Bird Taxi bereits in den Flughafen ein. Mein nächster Stop: Sulawesi. Und als ich nach gut 6 Stunden immer noch auf meinen verspäteten Flug mit LionAir nach Makassar wartete fragte ich mich das erste Mal in diesem Lande: ‚Warum nur Indonesien, warum muss immer ich die verspäteten Flüge bekommen?‘ Denn es sollte im späteren Verlauf meiner Reise, zur Regel anstatt Ausnahme werden. Diesmal war aber eine Konferenz am Flughafen Schuld, also dachte ich noch naiv. „Naja, kann ja MAL passieren.“


Ich hatte natürlich aufgrund, dass ich erst Mitternacht in Sulawesis Hauptstadt ankam, meinen Nachtbus verpasst und musste nicht nur ein überteuertes und schäbiges Hotelzimmer bezahlen, sondern mir auch die grausame Tagesfahrt im warmen Bus antun am nächsten Morgen und verlor dadurch einen ganzen Tag. Man muss nämlich bedenken, dass es in Indonesien nicht wirklich doppelspurige Straßen gibt. Alles spielt sich auf einer Links- als auch Rechtspur ab. Und es gibt auch keine Ausweichstraßen. Nicht mal Seitenstreifen existieren. Sprich, wenn Stau ist, ist Stau. Nichtsdestotrotz kam ich irgendwann in Rantepao an und vor mir lag die Aufgabe, all die Dinge, die ich mir in Toraja anschauen wollte, in nunmehr 2 Tage zu packen.


Auf der Suche nach einem Guide durch das kleine Örtchen, bemerkte ich erstmal, in was für eine gottverlassene Gegend ich da eigentlich gereist war. Das Essen war spottbillig, die Leute super freundlich und stets gewollt zu helfen, Hühner liefen durch den Verkehr und weit und breit kaum Zivilisation. Es war so untouristisch, dass man als weißer Mensch sofort zum Schauobjekt des Tages ernannt wurde. Alle starrten einen verwundert an. Eine Travelagency direkt gab es natürlich auch nicht; alles wurde über die Einheimischen per Telefon organisiert. Irgendwer kannte immer irgendwen Anderes oder den Freund von einem Freundesfreund, der eine Privattour auf dem Motorroller über 2 Tage für die wenigen Reisenden anbot.


So war es auch bei mir. Mein überaus entspannter Herbergsvater, der wirkte als hätte er sein Leben dem Joint gewidmet, telefonierte zwei-dreimal herum und prompt stand ein klein gewachsener älterer Indonese in der Tür und begrüßte mich auf Deutsch. Und auf Englisch, Belgisch, Französisch, Spanisch, Japanisch, Italienisch, Portugiesisch, Schwedisch und natürlich Indonesisch. Wow, das nenn ich mal Sprachtalent. Er sprach kaum viel und weit entfernt von fließend, aber mit der Deutsch – Englisch – Indonesisch und teils Spanisch Mischung, hat er mir 2 Tage lang alles erklärt was es über die Torajakultur zu erzählen gab. Sinn für Humor hatte er auch. Er kicherte bereits los, bevor er mich veräppelte. Toll. Sehr schön. Hat auch Spaß gemacht.


Somit ging es also los, auf dem Motorrad, über Stock und Stein, denn als Straße würde ich es nicht bezeichnen auf Dem wir da gefahren sind. Vermutlich war es mal Eine, nun bestand das was davon übrig war aus Schlaglöchern mit Splitt und asphaltischer Umrandung. Mein Hintern tat mir weh, als hätte Jemand damit Tennis gespielt. Abends konnte ich nicht mehr sitzen und am nächsten Tag nahm ich nur zögernd meine Position auf dem Beifahrersitz überm Hinterreifen ein. Aber die Landschaft in den Bergen von Toraja war wirklich schön. Mitten durch die bambus- und palmenbewachsenen Wälder und reisbepflanzten Berghänge, entlang der für die Kultur so typischen Häuser, deren Dächer eher einem Sattel oder Boot nahekommen. Die Außenfassaden sind mit geopferten Büffelschädeln und Schweinekiefern geschmückt. Urig, die Nachfahren jeder Völker, die in ihrer Vergangenheit kannibalisch gelebt haben.


Auch heutzutage haben einige der hier ausgeführten Traditionen für unsere westlichen Moralvorstellungen etwas Barbarisches. Toraja ist bekannt für seine zeremoniellen Beerdigungen bei denen mehrere Wasserbüffel und Schweine dem Toten geopfert werden. Die Anzahl schwankt je nach Beliebtheit und Weisheit aka Alter des Verstorbenen und da die Büffel teuer sind, kann das Sterbedatum schon mal 1,5 Jahre zurück liegen. Der Tote wird bis zur Beisetzung im Haus seiner Familie in Formalin getränkt aufbewahrt und ist bis dato ‚nur‘ krank. Es ist schwer sich das Vorzustellen, aber die Menschen dort wachsen damit auf. Es ist normal bis zu eine Woche lang zu Feiern, Büffel nach Büffel die Kehle durchzuschneiden, zeremonielle Gesänge zwischendrin zu summen und halb Indonesien, sowie Fremde zur Teilnahme einzuladen, wenn das Familienmitglied endlich in den Himmel aufsteigen kann. Toraja ist nämlich christlich, man glaubt es kaum.



Neben einigen für uns ‚normalen‘ Gräbern mit Jesus auf dem Grabmal gibt es die typischen in den Felsen gemeißelten Särge mit Figurdarstellungen der dort Ruhenden. Es sind Familiengräber. Nur Babys bis zum Zahnalter gelten als komplett unschuldig und werden allein in Bäumen begraben, wo sich die Baumrinde wieder schließt und die Kinder somit zurück in den Kreislauf der heiligen Natur übergehen. Vor hunderten von Jahren gab es noch die hängenden Gräber, aber durch zu starke Verwitterung sind die bootähnlichen Särge abgestürzt und an der Felswand, die ich besuchte lagen Berge an menschlichen Gebeinen herum.


Wie gut, dass mir sowas überhaupt nix aus macht, im Gegensatz zu der Angst der Tiere bei der Bestattungszeremonie. Ich sage immer wieder, es macht keinen Unterschied, welche Tiere Menschen essen oder für ihre Produkte als Haustiere halten und ich akzeptiere auch bis zu einem gewissen Punkt Tradition, solange sie diese Mitgeschöpfe gut und artgerecht behandeln, Ihnen ein schönes Leben zugestehen und den Tot kurz und schmerzlos gestalten. Aber sobald die Tiere Qualen ausgesetzt werden und sie Angst und Ausweglosigkeit verspüren, hört mein Verständnis auf. Vor allem, da ich ja genau diese Emotionen von den Tieren spüre und ihr Leid vermutlich mehr als jeder Andere mitbekomme.



Und so musste ich weg! Weg von den Menschen, die lächelten, als sie dem Büffel zuschauten, wie er ausgeblutet ist; weg von der Furcht in den Augen der Schweine, die mit den Beinen zusammengebunden am Rand der Zeremonie auf ihren Tot warteten; weg von der Ausweglosigkeit all Derer, die noch folgen würden ins Reich der, aus einem Glauben heraus, geopferten. Tränen standen mir in den Augen; es war einfach zu viel. Natürlich, auch in Deutschland sterben Millionen an Schweinen, Rindern und Hühnern jeden Tag, aber wenn alles nach den gesetzlichen Richtlinien geschieht, sind die Tiere betäubt bevor das Leben erlischt und ich stehe in aller Regel nicht machtlos daneben.
 


Es war danach schwer die Stammeskultur noch mit einem neutralem Auge zu betrachten und das Wissen unvoreingenommen auszuwerten. Ich konnte mich nicht mit dem Hahnenkampf, welchen ich am Straßenrand sah anfreunden und erst später am Nachmittag, als ich einen kleinen Wasserbüffel glücklich im Matsch wälzen sah inmitten eines abgeernteten Reisackers, beruhigten sich meine angespannten Nerven wieder und ich konnte die Kunst der Reisfelder bewundern. Saftig grüne überflutete Felder mit jungem Reis, Fische zwischendrin, die natürlich dort in einem mittigen Teich gehalten werden und Büffel auf den brachen Ackern, die umgeben vom bunten Vogeltreiben, sich im Schlamm die Stechviecher vom Leibe halten und gemütlich wiederkäuen.


Wir sind dann auch nochmal kurz angehalten, weil mein Guide einer Familie beim Hausversetzen helfen wollte. Ja, genau, heute verschieben wir das komplette Haus um 5 Meter. Das halbe Dorf war spontan gestoppt um ihrem Nachbarn auf dem Berg, beim unterklemmen von Bambus und Palmenstämmen unters Haus zu helfen und die Bude anschließend mit vereinten Kräften nach links zu Rollen. Ich hab vielleicht Augen gemacht. Sowas kann man auch nur in Indonesien bringen.



Sulawesi, ein persönlicher Zwiespalt zwischen unserer Kultur und dem traditionellem Erhalt einer doch so Anderen. Befremdliche Dinge und Vertrautes. Zum einen steht Hund auf dem Speiseplan was für die Meisten eine Horrorvorstellung ist, zum anderen helfen sich die Menschen hier gegenseitig so selbstverständlich und selbslos, dass man sich für die westliche oft egoistische Denkweise im Vergleich teils schämen müsste. Meine eigene Überzeugung ist hier stark mit der hießigen angeeckt; hat mich aber gleichzeitig herausgefordert, mich mit einer anderen Sichtweise auseinander zu setzen. Ich kann mir daher über Sulawesi nicht wirklich ein Urteil erlauben, zumal ich ja nicht bis hoch in den Norden gefahren bin. Aber abschließend war es ein Erlebnis, was ich weder missen noch wiederholen möchte. Es hat mir mehr Reisehunger auf weitere Völkerstämme bereitet und gleichzeitig das beruhigende Gefühl gegeben, selbst in einem für mich deutlich zivilisierterem und freierem Land zu leben. Es war denke ich, eine weitere wichtige Erfahrung auf meinem langen verstrickten Weg um die Welt.


Dienstag, 8. Oktober 2013

Tonga

Gibt es einen schöneren Gesang auf der Erde als jener der Buckelwale? Und existiert ein Wort, welches auch nur im Geringsten beschreiben könnte, wie es sich anfühlt mit Ihnen im Wasser zu gleiten? Ich glaube nicht. Es ist eine der unwirklichsten, ergreifendsten, friedlichsten und zauberhaftesten Erfahrung, die ein Mensch erleben kann und selbst jetzt, Tage später, schlägt mein Herz schneller, wenn ich zurück denke an Jene Minuten, die ich mit einem der größten Säugetiere verbringen durfte.





Mein Flug von Sydney nach Tonga war recht angenehm, bis auf die Tatsache, dass ich ein Bett dem unbequemen Flugzeugsitz vorgezogen hätte. Genau eine Stunde konnte ich am Flughafen schlafen. Beim Zwischenstopp in Fiji wurde ich jedoch kräftig auf Urlaub eingestimmt, denn eine Band spielte nur so munter auf ihren Instrumenten dahin. Und als ich dann über die Südseeinseln flog und von oben bereits türkisblaues Meer und weiße Sandstrände mit grünlichem Riff erblickte, kam die Reiselust wie eine Welle über mich. Ja; ja, es wird toll werden







Bei der Ankunft in Tongatapu, der Hauptinsel von Tonga, stand der kleine Bus vom Hostel bereits abholbereit vor der Tür und der Fahrer nahm mich mit freundlichen Willkommensgrüßen in Empfang. Dann spazierte noch eine zweite Backpackerin aus dem niedlichen kleinen Internationalem Airport der Größe vom Altenburger Flugplatz nahe kommend, und es stellte sich heraus, dass A. wir uns suuuuper verstehen, B. wir exakt das Gleiche vor haben (Insel Eua in der Ovava Tree Lodge mit Walschwimmen, Tauchen und Wandern an exakt den gleichen Tagen) und C. direkt zusammen in ein Doppelzimmer ziehen könnten. Lara, ist Meeresbiologin und es sollte eine Woche voller gemeinsamer Abenteuer werden.












In Toni’s Guesthouse angekommen, umarmten wir die Doppelbetten, tauschten die verklebten warmen Sachen gegen Flip Flops und kurze Kleidung und genossen den ersten Abend mit Ruhe anstatt Straßenlärm. Ja endlich wieder im urigsten Gewirr von Einheimischen Dörfern anstatt Straßenbahn und Hochhäuser. Ich war mitten in der Natur und glücklich. Na gut, nicht ganz, die Spinne, der Größe einer Untertasse sollte bitteschön draußen schlafen. Eine Pfanne und ein Stück Pappe waren auch schnell gefunden, und der nette Neuseeländer hat das Monstervieh unbeschadet heraus begleiten können.


Am nächsten Tag hieß es ab mit der Fähre nach Eua, der grünsten Insel von allen. Und während die Einheimischen bei hohem Wellengang ganz grün im Gesicht über der Reling hangen, genoss ich den Anblick der ersten Wale die pustend an uns vorbei schwammen. Ich freute mich wie das Kind zu Weihnachten und konnte es nun kaum mehr erwarten endlich mit ihnen ins Wasser zu hüpfen. Meine Meeresbiologische Freundin hatte am Morgen den 7 Minuten Flieger auf die Insel genommen und wartete bereits auf mich einer bisher tollsten urigsten und gemütlichsten Lodges, welche ich bisher auf meinen Reisen erlebt habe. Das einzig ernüchternde an diesem Tag waren die etwas stürmische See und die wenig aufmunternden Worte der letzten Gäste, die es bei 3 Mal Walschwimmen nicht geschafft haben, nah genug heran zu kommen, weil die Tiere ihnen davon getaucht waren. Das einzig Positive, ich hatte ein gutes Bauchgefühl was die nächsten Tage betrifft, sah ich doch bereits vom Lande aus die vielen Wasserfontänen im Meer aufblitzen, als die Abenddämmerung heran brach.


Ich versuchte bis zum nächsten Morgen das 3-Stunden-Jetlag auszugleichen und um 7 frisch und munter auszusehen, war es in Australien doch erst 4 Uhr morgens. Nach dem reichlichen Frühstück, schlüpften wir alle in die Wetsuits, denn auch wenn man es ungern glaubt, das Wasser war gut kalt für südpazifische Verhältnisse. Die ersten Puster waren auch bald gefunden und eine Gruppe von 4 Walen wanderte gen Süden an uns vorbei, also näherten wir uns vorsichtig mit dem Boot. Leider waren die Wale nicht sehr interessiert und tauchten ab, sobald wir ins Wasser gesprungen waren. Und Wale sind schnell, auch wenn sie nur gelangweilt im Wasser schweben zu scheinen. Ein Schwanzschlag und zack weg. Das ganze Spiel spielten wir 3 Mal, dann hielten wir Ausschau nach einer anderen Walgruppe.


Nach gut einer halben Stunde hatten wir dann Glück. Eine Walkuh mit Baby und einem Halbstarken im Schlepptau, erlaubte uns einige Blicke auf ihre anmutige Schönheit durchs Wasser zu gleiten. Dann tauchten sie ab, und als wir bereits nichts mehr im Wasser sehen konnten, hörte ich von einer ganz anderen Richtung etwas, auf das ich seit meiner Ankunft die ganze Zeit gehofft hatte; den wunderschönsten Gesang auf Erden. Den, eines männlichen Buckelwals.






Als ob man durch Nebel in einen Traum eindringt und durch den leeren Raum auf weichen Noten schwebt, senden die Töne dieser wundervollen Geschöpfe ein Flut von Emotionen durch den Körper jener, die beim Zuhören ihre Augen schließen und sich dem sehnsüchtigen Klängen hingeben. Es ist nicht zu beschreiben, in keiner Sprache und nicht mit allen Worten und Ausschmückungen dieser Welt, was man fühlt, wenn man diesen einsamen Gesang, der sich über Kilometer unter Wasser ausbreiten kann im blauen Nichts des Ozeans vernimmt.








Möglich dass mir Tränen in die Augen stiegen, möglich dass ich wie verzaubert unter Wasser schwebte, aber ich strahlte mit dem breitesten Grinsen seit ich die Cenoten in Mexico und Afrikas Wildnis hinter mir gelassen hatte. Ja die teuren Flüge nach Tonga waren es wert gewesen.


Als wir später beim Abendessen wie aufgeregt über unser Erlebnis erzählten, wurden direkt Pläne für den Folgetag geschmiedet. Nochmal, nochmal! Die Wanderung kann noch 2 Tage warten. Und so war es dann auch. Das Meer ruhig, das Wetter sonnig, hatte ich beim Aufstehen so ein gutes Bauchgefühl, dass ich wusste, dieser Tag wird nochmal etwas Besonderes mit den Walen. Und keine 10 Minuten auf dem Boot, fanden wir unsere kleine Walfamilie, die uns über eine Stunde einen Einblick in ihr Unterwasserleben geschenkt hat.


Beim ersten Sprung ins Wasser, führte die Walkuh ihren kleinen pummeligen Wonneproppen noch nah an seiner Seite an uns vorbei. Schwamm einen Kreis, verschwand und kam nochmal kurz zurück. Der Kleine schielte zu uns rüber, traute sich aber nicht von der Seite seiner Mutter zu weichen. Der mächtige Bulle war eher gelangweilt und zog in der Tiefe unter seinem Weibchen langsame Kreise und folgte ihr, wohin sie auch schwebte.


In Windeseile krabbelten wir aufs Boot zurück und folgten ihnen; sie waren uns nicht abgeneigt und so versuchten wir es erneut. Und diesmal sollten wir Zeuge von der Kommunikation zwischen Mutter und Kalb werden. Als wir nämlich das kühle Nass betraten und den Kopf unter Wasser steckten plapperten die beiden in grunzenden, trompetendem und quickenden Lauten nur so drauf zu. Und während die beiden großen Tiere uninteressiert in der Tiefe verweilten, guckte das kleine neugierige Jungtier zu uns hoch und schwamm in immer kürzer werdenden Abständen zur Oberfläche um Luft zu holen. Auftauchen, Luft holen, zurück zu Mama. Dann auf einmal kreiselte es ein wenig an der Oberfläche bis es wieder zurück zur Walkuh tauchte. Als ihm die rosafarbenen seehund-ähnlichen Dinger, die da an der Oberfläche schwammen und sie zu beobachten schienen, immer neugieriger machten, beschloss es uns etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Es gab viel Kommunikation zwischen Mutter und Kalb, als ob sie ihn zur Vorsicht ermahnte nicht zu dicht heran zu gehen. Quitschvergnügt versuche der Kleine sein Bestes und kam mit jedem Mal Luft holen, immer näher uns heran. Und dann wie sollte es auch anders sein, verschätzte sich das tapsige Walbaby mit seinen übergroßen Paddelflossen im Abstand und ich wurde fast einem Kleinbus umgeschwommen.


Wow das war NAH! Ohne Zoom, so eine scharfe Aufnahme geschossen. Der Kleine, erschrocken über sich selbst, schüttelte sich im Wasser, schwamm einige Meter weiter und rannte dabei fast noch meine meeresbiologische Freundin über den Haufen. Mama Wal war das natürlich nicht entgangen und beschloss, für heute ist Schluss. Anmutig tauchte sie auf und führe ihr Kalb davon. Zurück an der Oberfläche, gab uns das Männchen den Aufwiedersehens-Gruß, indem er mit der Schwanzflosse schlug, machte er uns deutlich, dass das Whalewatching nun vorbei sei.


Und tatsächlich, mit einmal waren sie weg. Komplett verschwunden in den Tiefen und Weiten des Ozeans. Einfach so. Keine Wasserfontänen mehr, keine Rückenflossen, nichts. Als wir nochmal ins Wasser sprangen um zu schauen, ob wir sie in der Tiefe erblicken würden, begrüßte uns nur das strahlende Türkisblau des Meeres und in der Ferne hörten wir Stimmen weiterziehender Wale. Wieder ganz anders, neue Frequenzen, hohe Tonleitern und einen gelungen Abschluss dieses wundervollen Tages.


Jubelnd tauchten wir auf und Klatschten uns die Hände ab. Was für eine Begegnung. Unser Guide war auch ganz außer sich, so hatte er doch noch nie so geschwätzige Wale gehabt. Noch weitere 2 Stunden kurvten wir durch die Gegend auf der Suche nach einer neuen Gruppe von Walen, aber vergebens. Aus irgendeinem Grund, waren ab 11 Uhr die großen Tiere allesamt vom Erdboden verschluckt, und so kehrten wir gegen Mittag zurück in den Hafen. Es gab jedoch nichts was an diesem Tage noch wirklich enttäuschen konnte und so aßen wir überglücklich unsere Kokoseierkucen und erzählten allen von unserem unsagbar tollen Erlebnis. Und ich knutschte meine Kamera ab, die mir nicht nur gute Bilder und Filme bereitete, sondern jeden Ton unter Wasser wunderbar und klar aufgezeichnet hatte.


Ich weiß nicht, ob man Whale watching als Sucht auslegen kann, aber aufgrund eines wieder äußerst guten Bauchgefühls, schloss ich mich der kleinen Gruppe am Folgetag nochmal an. Auch meine Freundin Lara konnte nicht genug bekommen, somit warfen wir alle Pläne, einen ruhigen Tag am Strand zu verbringen, über Bord und haben neben ein paar halbstarken Bullen nochmal eine kleine Walfamilie gefunden, die uns wohlgesonnen war. Das Kalb war noch recht jung und Mutter Wal lies das Kleine nicht von ihrer Seite weichen. Doch sie wollte uns dennoch begutachten und kam erstaunlich dicht zu uns geschwommen. Fast zu nah, als sie zusammen mit dem riesigen Bullen unter uns zum Luft holen auftauchen wollte. Walreiten war eigentlich nicht unsere Absicht.


Minutenlang zogen sie Kreise, beäugten uns vorsichtig und schwammen danach gelassen davon, um uns in den von ihren starken Körpern geformten Wasserstrudel zurück zu lassen. Das muss man sich mal vorstellen, zu paddeln und zu paddeln und nix als im Kreis zu schwimmen. Walverfolgung mit Flossen unmöglich.
Das Boot holte uns ab und wir waren wieder zutiefst glücklich ein solch tolles Erlebnis gehabt zu haben. Und mit ein paar Luftsprüngen lebensfroher Wale in der Ferne klag auch dieser Tag in einem wunderschönen Sonnenuntergang aus.



Sonntag war dann Zwangspause, denn Sonntags steht auf Tonga alles still. Bootsverkehr, Luftverkehr, ja selbst Autos fahren nicht unbedingt. Das streng gläubige Inselparadies geht zur Kirche und das den ganzen Tag; zu arbeiten wäre eine Sünde. Also beschlossen wir zu Wandern. Naja nicht alle. Meine Mitbewohnerin hatte sich auf Fiji geschnitten gehabt und als ich ihren dicken Fuß mit den roten geraden Streifen Richtung Wade ziehen sah, schickte ich sie zum Krankenhaus um sich Antibiotika zu holen. Der Rest von uns, ist bei grellender Hitze zum Nationalparkt gelaufen und ich muss zugeben, es war sehr schön.


Das scharfkantige Riff, welches sich wie ein Saum um die Insel legt von oben zu sehen, die Höhlen in den Felsen und die vielen wilden Pflanzen, die man sonst nur aus dem Wintergarten daheim kennt. Es ist eine raue Schönheit, unbezwungen und unerforscht. Die Wellen,die am Riff zerschmettern, Bäume, welche ineinander zu greifen scheinen und das Wetter kalt und heiß, nie dazwischen.


Das gleiche Bild hatte ich beim Tauchen vorgefunden, als wir in eine unterirdische Meereshöhle einen Ausflug noch am ersten Tag in Eua gemacht hatten. Es war ein zweischneidiges Erlebnis. So beeindruckend das ‚Blowhole‘ von Unten auch war, so sehr hatte es mir auch vor Ehrfurcht die Sprache verschlagen. Im Halbdunkel erzeugt der ‚Waschmaschineneffekt‘ einen derartig starken Sog am Boden, dass, würde man zu dicht heranschwimmen, das Wasser einen in den Strudel hinauf ziehen würde, wenn die Wellen von oben und unten sich vereinen und durch das Loch nach außen schießen.


Ich war erstarrt vor der Gewalt des Wassers, eine Kraft gegen die man nur verlieren kann, kommt man diesem Naturschauspiel zu nahe. Und als ich das Spiel der Elemente bewunderte, war da auch ein wenig Sorge, denn wie sich während des Tauchganges herausstellte, war das Tauchequipment leider nicht so wirklich der Renner. Das Luftventil am Atemschlauch war undicht und es traten ständig Blasen aus. Somit verbrauchte ich schneller Sauerstoff als vorgesehen und musste zu allem Übel ans Reservegerät des Divemasters, der das Ganze zu meinem Unmut nicht mal ernst zu nehmen schien. Ich musste auf halber Strecke abbrechen, mein Tank war leer.

Ich hab mich wirklich geärgert darüber, wollte ich doch so gern die im Dunkel leuchtenden Antennenfische sehen. Aber nicht nur war mir zusätzlich schweinekalt vom plötzlichen Wetterumschwung, der die Außentemperatur um mindestens 10 Grad stürzen lies, Nein ein Gewitter zog sich zusammen, es goss aus Eimern und der Wellengang hat es uns fast unmöglich gemacht wieder ins Boot zu kommen. Mit eisiger Sturzflut von oben, fuhren wie zitternd zurück zur Lodge, der zweite Tauchgang wurde erst gar nicht angetreten. Nochmal wäre sowieso nicht mit dem bedenklichen Tauchequipment ins Wasser gestiegen. Das verdirbt so richtig den Spaß und ist gefährlich.

Der Trost war, dass die Wale die schlechten Stunden immer wieder aufgewogen haben. So auch der Stress mit meiner Flugbuchung, die im internetlahmen Tonga nicht möglich gewesen war. Glücklicherweise konnte ich zumindest eine Email schreiben vom einzigen Internetcafe der ganzen Insel, irgendwo am hintersten Ende des Dorfes, wo Schweine und Hunde wie selbstverständlich Teil der Fußgänger zu sein scheinen. Meine Familie kümmerte sich dann um meinen Indonesien – Thailand Flug, den ich unbedingt noch vor Ausreise gebraucht hatte.


Schwer war es, die Wale wieder zu verlassen. Sie strahlen eine unglaubliche Ruhe und Selbstverständlichkeit aus, als hätten sie die Welt gesehen und verstünden, um was es eigentlich geht im Leben. Anders kann ich es nicht beschreiben. Jene Völker, die behaupten, dass ein Wal direkt in die Seele Anderer schauen kann, haben nicht unrecht. Als die Walkuh uns am dritten Tag umkreise, schaute sie mir mit wachsamem Blick direkt in die Augen. Es sind nur wenige Sekunden, die sie braucht um ihr Urteil zu fällen, und ein Moment des Verständnisses zwischen zwei Individuen, die doch so verschieden ihr Leben bestreiten. Ein Kribbeln breitet sich wie ein Lauffeuer im Körper aus, wenn sie anschließend und unter stetigen Augenkontakt ihr Kalb noch näher heran führt und von keiner Gefahr ausgeht in dem neugierigen Menschen, die in der Geschichte des Walfangs ihrer Spezies doch so viel Leid angetan hat. Und wenn diese Tiere anschließend stolz und anmutig davon gleiten ins blaue Nichts, durchflutet ein Gefühl von Sehnsucht die wenigen Glücklichen, welche Einblick in ein so gut gehütetes Geheimis erhalten haben und man möchte mitreisen mit den Buckelwalen und ihrem Gesang folgen.


Ich möchte glauben, sie wusste meine Dankbarkeit in ihr Vertrauen zu schätzen. Es war eine Ehre mit diesen Geschöpfen schwimmen zu dürfen und ich trage ein Gefühl der gegenseitigen Anerkennung mit mir, zum nächsten Land meiner Reise, wo hoffentlich viele neue Abenteuer auf mich warten...